Landwirtschaft unter Druck – Insektensterben

Die Landwirtscha droht an einer neuen Front unter Druck zu geraten: Zahlen von einem „Insektensterben“, die in Deutschland erhoben wurden, sorgen für immer fettere Schlagzeilen.

„Die Zeit“ hatte es als Titelgeschichte. „Wir befinden uns mitten in einem Albtraum“, hatte auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) auf dem Titel. „Das Insektensterben lässt sich nicht mehr abstreiten“, schreiben immer mehr Zeitungen. „Fuhr man zum Beispiel mit dem Auto übers Land, war die Windschutzscheibe nach ein paar hundert Kilometern so verdreckt, dass man kaum noch durchsehen konnte. Das ist heute nicht mehr so“.

Nach und nach sprangen auch in Österreich die Medien auf das neue Umweltthema auf, das seit Monaten in den Vordergrund der öffentlichen Diskussion drängt. Auf die Landwirtschaft kommt damit ein weiteres großes Thema zu, das sie an einer neuen Front unter Druck bringt. Denn fast alle Experten bringen den Rückgang der Insektenpopulationen auch mit der Landwirtschaft in Zusammenhang.

Vor dem Hintergrund von Zahlen, die Forscher in Deutschland erhoben haben (siehe Kasten unten), ist die Aufregung verständlich. „Die Verluste betreffen offenbar die meisten Arten“, schreibt die FAZ, „Von Schmetterlingen, Bienen und Wespen bis zu Motten und anderen flugfähigen Arten, die praktisch ausnahmslos als Bestäuber von Wildund Nutzpflanzen oder zumindest als Beutetiere für die Vögel wichtig sind“.

SORGE UM GESAMTES ÖKOSYSTEM

Das Thema sorgt auch international für Aufsehen. In einer Analyse warnt der Weltrat für Biodiversität davor, dass 40 % der Fluginsekten bereits vom Aussterben bedroht sind. „Stirbt der Schmetterling, geht es anderen Insekten nicht gut“, heißt es „Und wenn Insekten fehlen, leiden viele Wirbeltiere“.
Bienen, Wespen, Käfer und selbst Motten gelten als Fundament eines gesunden Ökosystems. Sie sind nicht nur die wichtigsten Pflanzenbestäuber, sondern regulieren auch Schädlinge und dienen zahlreichen andere Arten als Futter, heißt es. „Wenn das Fundament wegbricht, wie es die Studie nahelegt, dann droht das ganze Gebäude, unser gesamtes Ökosystem, einzustürzen“. In Österreich wird das Insektensterben als ähnlich massiv wie das in Deutschland eingeschätzt (siehe auch Mittelspalte). „Die Gegebenheiten in Deutschland sind mit jenen in Österreich vergleichbar“, sagte Fritz Gusenleitner, Leiter des Biologiezentrums Linz, gegenüber den „Oberösterreichischen Nachrichten“ (OÖN).
In Naturschutz-Fachkreisen redet man inzwischen offen darüber, dass in Städten die Biodiversität mitunter höher ist als auf dem Land. „Imker tun sich leichter und sind erfolgreicher, wenn sie ihre Bienenvölker in gartenreicher, städtischer Umgebung aufstellen“, schreiben die OÖN. Auf dem Land sei das Nahrungsangebot für Bienen und Insekten nur hoch, „wenn die wenigen Arten an Nutzpflanzen, etwa der Raps, blühen. Im Spätsommer hingegen herrscht Nahrungsknappheit“. Nur im Wald sei dann noch was zu holen. „Das schwächt die Bienenvölker und macht sie anfälliger für Umweltgifte und Milbenbefall.“
Auch wenn die Experten eine breite Vielfalt an Ursachen benennen, steht doch bei allen die Landwirtschaft mehr oder weniger im Zentrum der Analyse. Der bayerische Ökologe Josef Reicholf etwa meint sogar, den Beginn des dramatischen Insektensterbens einigermaßen datieren zu können. Die meisten Pflanzenund Insektenarten seien von ihrer Natur her auf magere Wiesen eingestellt, meint er. „Diese Arten hat es hart getroffen, als in den 1980-er und 90-er Jahren die Landwirtschaft umgestellt wurde, das Vieh in die Ställe kam und Mais auf die Felder“. Das hätten nur wenige Wildpflanzen vertragen. Andere Wissenschaftler nehmen sich hingegen kein Blatt vor den Mund. „Pestizide spielen mit Sicherheit eine ganz große Rolle“, ist etwa Jan Christian Habel vom Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie der TU München überzeugt.

LANDWIRTSCHAFT WEHRT SICH

Die Landwirtschaft freilich ist nicht willens, sich schon wieder den Schwarzen Peter zuschieben zu lassen. Der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt trat via Zeitungsinterviews zur Verteidigung an. „Belastbare Aussagen zu den Ursachen des Insektensterbens sind aus der Studie nicht abzuleiten“, sagte er. Man unternehme heute bereits eine Menge für den Schutz der biologischen Vielfalt im Agrarraum, „die Maßnahmen benötigen Zeit, um ihre Wirkung auf die biologische Vielfalt zu entfalten.“
Die Datenlagen ist in der Tat dünn. Gemessen wurde praktisch ausschließlich in Nordrhein-Westfalen. Zum Teil gab es über 27 Jahre nur 16 Stichproben pro Ort. Und, werfen Kritiker den Studienautoren vor, „hätten sie das Insektensterben auf Grundlage der Jahre 1989 bis 2014 berechnet, wäre es um 70% geringer ausgefallen, hätte der Rückgang nicht 76 %, sondern nur 22,8 % betragen.
Auch in Österreich regte sich heftiger Unmut über die offenen und versteckten Vorwürfe gegen die Landwirtschaft. „Agrarfeindliche Reflexe“ nannte Christian Stockmar, Sprecher der österreichischen Industriegruppe Pflanzenschutz, die Vorwürfe, die den Insektenschwund mit der Landwirtschaft in Zusammenhang bringen. „Jetzt soll ein vermeintliches Insektensterben als Startschuss für eine neue Kampagne gegen sichere und innovative Pflanzenschutzmittel genutzt werden“, glaubt er und vermutet NGOs als treibende Kräfte dahinter. „Gemäß der Logik der NGO-Kampagnenführung folgen dieser Panikmache weitere kampagne-wissenschaftliche Studien, die einen Zusammenhang zwischen Pflanzenschutzmitteln und Insektensterben behaupten – begleitet von Kampagnen der NGO und Denunzierungen der Kritiker.“
Nicht nur Stockmar zieht die Studie in Zweifel: Die Studie hat Lücken und die Verweise auf die Landwirtschaft sind nichts anderes als Vermutungen, meinen auch die Medien. „Die Ursache für das Sterben ist unklar“, schreibt „Der Spiegel“. Und die FAZ meint, die Rückgänge seien „alleine mit Lebensraumzerstörung, Klimawandel oder Landnutzungsänderung – und damit auch Verarmung der Agrarlandschaften – jedenfalls mit dem zur Verfügung stehenden Daten nicht zu erklären.“

BAUERNARGUMENTE VERFANGEN KAUM

Die aus Deutschland kommende Diskussion über das Insektensterben fügt sich nahtlos in die immer heftiger werdende Front vor allem gegen die konventionelle Landwirtschaft. Längst geht es nicht mehr nur um Neonicotinoide, um Glyphosat, um die Klimabelastung durch die Rinderhaltung oder um den Verlust der Artenvielfalt. Die Landwirtschaft tut sich zunehmend schwer dagegenzuhalten. Ihre Argumente greifen nicht. Wenn Agrarier, wie kürzlich Hermann Schultes in der Tageszeitung „die Presse“, von einer „gesteuerten Glyphosat-Erregung“ schreiben und darauf aufmerksam machen, dass die Landwirte im Falle eines Glyphosat-Verbotes wegen der häufiger notwenigen Bodenbearbeitung ein höheres Risiko der Erdabschwemmung haben, greift das nicht. Schon gar nicht tut das der Verweis auf höhere Kosten und Wettbewerbsnachteile auf den internationalen Märkten, die immer strengeren Umweltvorschriften mit sich bringen.

VORZEIGEPROJEKT ÖPUL

Dabei hält sich gerade die heimische Landwirtschaft seit Jahrzehnten zugute, auf einen im Vergleich sanften Weg auch in der konventionellen Landwirtschaft zu setzen. „Natürliche Ressourcen verantwortungsbewusst nutzen“, ist seit Jahren Programm.
Besonders stolz ist man dabei auf das ÖPUL. „Das Programm stellt sicher, dass die heimischen Betriebe besonders umweltschonend und zukunftsorientiert wirtschaften.“ Man verweist darauf, dass rund 90 % der bewirtschafteten Flächen Teil des Programms sind. „Mit diesem Agrarumweltprogramm forciert das Landwirtschaftsministerium eine umweltgerechte und den natürlichen Lebensraum schützende Landwirtschaft“, betont man auf der Homepage des Ministeriums.

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