Russlands unbekannter Weizen

Auszug aus dem Magazin Flur und Furche Oktober 2015 | Text: Katja Beth

Bei Russland denken die meisten an Schwarzerdeböden und riesige Weizenfelder. Nur wenigen ist bekannt, dass im Buchweizen wesentlich mehr von der russischen Seele steckt. Spätestens auf dem Teller wird dies deutlich. Denn eine Küche ohne Buchweizen ist in Russland undenkbar.

Honigduft liegt in der Luft. Kein Wunder, wir stehen mitten in einem weißblühenden Buchweizenfeld, dessen Blüten diesen intensiven Geruch verströmen. Angelockt durch den Duft und die Tatsache, dass die Pflanze viel Nektar absondert, besuchen Bienen sie während der langen Blühphase von Juli bis September gerne. Dies hat die Natur schlau eingerichtet, denn der Gewöhnliche bzw. Echte Buchweizen (Fagoyprum esculentum) ist auf die Fremdbefruchtung durch Insekten angewiesen.
Das scheinbar bis zum Horizont reichende Feld gehört Vladimir Ivanovič Šaškov[..]

FRUCHTFOLGE MIT BRACHE

Jedes Jahr kultiviert Landwirt Šaškov ungefähr 500 ha Buchweizen. Damit gehört er bereits zu den größeren Produzenten dieser anspruchslosen Körnerfrucht. Hier in der Gegend um Borilovo, einer Kleinstadt in der Nähe von Orel, etwa 350 km südlich von Moskau entfernt, dominiert der Weizen. Warum baut er die wärmeliebende Kultur an? „Sie passt gut in meine Fruchtfolge, die sich aus Weizen, Buchweizen, Roggen, Raps und Brache zusammensetzt“, sagt Vladimir Ivanovič Šaškov. Schließlich ist Buchweizen kein Getreide, sondern gehört wie der Rhabarber (Rheumrhabarbarum) zu der Familie der Knöterichgewächse (Polygonaceae). Ihren Namen hat die Pflanze bzw. ihre braune dreikantige Frucht ihrer Ähnlichkeit mit Bucheckern zu verdanken. Vorteilhaft für den Ackerbauern ist auch der späte Saattermin von Mitte bis Ende Mai, weil dieser gut in den Arbeitsablauf passt. Denn Buchweizen ist sehr kälteempfindlich und verträgt keinen Frost. Erst bei 8 °C fängt die Körnerfrucht an zu keimen und zu wachsen, dann allerdings schnell. „Mittlerweile versucht man Sorten zu züchten, die kältetoleranter werden“, so der Praktiker. [..]

VOM ACKER IN DIE KÜCHE

Buchweizen ist nicht nur auf dem Acker, sondern auch in der russischen Küche beliebt. Durchschnittlich 5 kg pro Kopf und Jahr verzehrt ein Russe laut einem Bericht der „Moscow times“ hiervon. In Russland Grečka genannt, gehört er als typisches Grundnahrungsmittel schon morgens als Grütze oder Brei auf den Frühstückstisch, während er sich im Laufe des Tages als Beilage für Fleisch und Fisch, als eigenständiges Gericht mit Pilzen oder als Pfannkuchen auf dem Teller wiederfindet. Gemein ist allen Rezepten, dass die Samen nur in geschälter Form verwendet werden. Aus ernährungsphysiologischer Sicht ist Buchweizen ebenfalls interessant, denn er enthält viel Stärke und hochwertiges Eiweiß, Vitamin B sowie eine Reihe von Spurenelementen. Aufgrund ihrer Glutenfreiheit ist die Pflanze zudem ein geeignetes Nahrungsmittel für Menschen mit einer Unverträglichkeit bzw. Allergie. [..]

„Der Anbau hat bei uns in der Region eine lange Tradition. Diese Frucht ist ein Stück russische Kultur. Nach Reis ist Buchweizen das beliebteste Grundnahrungsmittel in Russland.“

Buchweizen: Was sind Beweggründe, ihn anzubauen?

[..]  „Buchweizen ist eine echte Gesundungsfrucht“, sagt Nikolaj Jevgenjevič Matjušenko, ein weiterer Landwirt, der regelmäßig Buchweizen anbaut. Durch ihr schnelles Wachstum unterdrückt die Kultur das Unkraut und bekämpft zusätzlich Rübennematoden. Beides passt für Matjušenkos Fruchtfolge optimal, in der neben Zuckerrücken, Weizen, Gerste, Soja, Mais auch Sonnenblumen und Lupinen zu finden sind. Daher baut er jedes Jahr Buchweizen an, aktuell sind es 100 ha. [..]

SCHWIERIGER ERNTETERMIN

Und wieder riecht die Luft nach Honig. Dieses Mal stehen wir mit Viktor Nikolajevič Petrov auf einem seiner Buchweizenfelder. Wie der Landwirt erklärt, kommt man an der einjährigen Pflanze nicht vorbei, wenn man sich intensiv mit Fruchtfolge beschäftigt. Denn die Frucht stellt weder besondere Ansprüche an den Boden noch an die Düngung und ist sogar mit sich selbst verträglich. Etwas komplizierter wird es dagegen bei der Ernte, die je nach Saattermin bereits ab Ende August erfolgen kann. Da die Pflanze ohne Unterbrechung bis zum Schluss neue Blüten und Blätter bildet, ist es nicht ganz einfach den Erntetermin zu bestimmen. In der Regel wird geerntet, wenn etwa 80 % der Samen reif sind. In der Praxis nutzen Landwirte die übliche Mähdreschertechnik für Getreide. Alternativ mähen sie den Buchweizen erst, legen ihn aufs Schwad, um ihn später mit einem Pickup-Vorsatz aufzunehmen und zu dreschen. Jedes Jahr ist anders, jede Ernte bringt wieder neue Erfahrungen, wie Viktor Nikolajevič Petrov philosophiert:

„Mit Buchweizen ist es ähnlich wie mit den Frauen. Ein Leben reicht nicht aus, um die Pflanze zu verstehen.“

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